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Journey along a faultline
by Stephan Doesinger

Ich hatte einen Hang Over und kalte Angst. Die vierspurige Straße vor uns war leergefegt.

Die Stimmung war wie in einem durchschnittlichen Western.
Verdunkelte Häuser gotzten uns mißtraurisch an. Ich saß am Steuer und spielte "Daddy Cool" während Patrica die Kamera aus dem offenen Fenster meines uralten Ford Mustang hielt. Die Karre war ausgeblichen bis aufs Blech
– eindeutig zu hell für diese Gegend. Das Rasseln des Auspuffs und das Kratzen des ausgeleierten Radlagers waren Beweise für die Sorgfalt seiner
Vorgänger. Aber es war immer noch ein Neuwagen im Vergleich zum Zustand der Häuser hier. Ich war mir nicht sicher, ob ich es als wohltuend empfinden sollte, wenn Licht in einem Fenster zu sehen war, oder nicht.

Vermutlich war es keine sehr gute Idee um 1:00 morgens in Los Angeles`Gang
verseuchten Armenviertel herum zu fahren. Wir redeten kein Wort. Nur das Surren der Kamera unterbrach die Stille. Patricia versuchte cool zu bleiben und beschäftigte sich mit der Kamera, den Stadtplänen und der Karte des
geologischen Instituts.
Ich schaute sie an. Sie war schön. Ich mochte ihre schwarzen Haare, ihren
Geruch.

Der Plan war einfach. Wir fuhren entlang einer Erdbebenlinie, die sich unter
uns durch die halbe Stadt zog. Gab es irgendeine unsichtbare Verbindung entlang dieser
Verwerfungslinie und dem was sich darüber befand? Gab es eine Verbindung zwischen sozialen Verwerfungen und den tektonischen Schichten, die hier
ständig gegeneinander drücken?
Die solange drücken, bis zerstörerische Entspannung
unvermeidbar ist. Wessen Schuld waren diese Falten? Mit jeder möglichen Antwort kamen neue Fragen dazu.
Entscheidend war, daß die Menschen dieser Stadt ständig in Angst lebten - entweder vor dem "Big One", dem Erdbeben, der die Stadt mit ihren
Holzhäusern und seinem gigantischen Gewusel aus Gasleitungen einfach platt
macht, oder vor sozialen
Unruhen. Wir fuhren also immer weiter und es wurde immer ruhiger.

Unsere Route entlang der Erdbebenlinie sollte uns direkt zu dieser Straßenkreuzung bringen, an der es drei Jahre zuvor passierte. Eine eigentlich unbedeutende Kreuzung. Trotzdem. Es war die Kreuzung an der die schlimmsten Rassen Unruhen Amerikas Grundfeste erschütterten. Genau da, wo
sich die zwei Staßen Florence und Normandie treffen, entlud sich das, was sich schon seit langer Zeit aufgestaut hatte.
Schuld daran war eine Video Kamera. Die Amateuraufnahme zeigte vier Polzisten des LAPD, wie sie brutal den Schwarzen Rodney King auf offener
Straße mißhandelten. Der Tag an dem die vier freigesprochen wurden, wurde zum Testfall für Amerika.

Ich dachte die ganze Zeit an den weißen Fahrer eines Trucks, der einfach aus
seinem Fahrzeug gezogen wurde und von einer Horde aufgebrachter schwarzer
Jugendlicher vermutlich mehr als nur verprügelt wurde. Insgesamt starben mehr als 50 Menschen, halb West Hollywood wurde abgefackelt. Schließlich
mußte die National Guard dem Spuk ein Ende bereiten. Bilder wie aus einem schlechten Action Film.

Während man in europäischen Städten noch die Einschuß-
löcher vom zweiten Weltkrieg sieht, waren zu dem Zeitpunkt, als ich in Los Angeles aufschlug,
nichts mehr davon zu sehen. Dort, wo vorher ein Supermarkt stand, war jetzt ein Parkplatz. Keine Spur mehr von den vielen kleinen und großen Dramen, die sich hier abgespielt haben mußten.
Ich dachte an Norman, der bei einem unserer letzten Treffen bemerkte, daß L.A. die am häufigsten fotografierte
Stadt der Welt sei, an die man sich aber am wenigsten erinnere.

Ich guckte auf die Tankuhr.
Die Ampel schaltete auf rot. Noch immer kein Lebenszeichen - von niemanden.
Irgendwo, sechs Straßen weiter kroch ein Auto langsam um die Ecke. Die Stadt der Engel war ausgestorben. Patricia murmelte etwas von Drive-by-shootings.
Florence und Normandie waren noch ewig weit weg. Hinter uns zerschnitt das Licht eines Autos eine Kreuzung, bis im Rück-spiegel seine Spitze auf uns
zeigte. Ich rieb mir die Augen. Ein Brennen. Ich hatte noch Salz vom Meerwasser an meinen Händen. Patrica sank immer tiefer in ihren halb aufgerissenen Sitz aus hellblauem Kunstleder. Der Wagen blieb neben uns stehen. Ein Moment wo man lieber ganz geschäftig am Radio herum fummelt. Nur nicht rüberschauen!
Wieder einmal nur Schrott auf KCRW!

Was suchte ich an diesem Ort eigentlich, mußte ich mich die
ganze Zeit fragen? Was sollte ich an dieser verlorenen Straßenkreuzung, an
der es am Schluß doch nichts zu sehen geben wird?

Grün!

 

 

 

 

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